Tageweise Verhinderungspflege durch nahe Angehörige
Auch heute noch wird eine erforderliche Pflege zumeist durch nahe Angehörige geleistet. Dass diese auch mal eine Pause brauchen hat der Gesetzgeber früh erkannt und die Verhinderungspflege (§39 SGB XI) eingeführt. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass der pflegende Angehörige (das Gesetz spricht von der Pflegeperson) seit mindestens 6 Monaten den Pflegebedürftigen, der mindestens im Grad 2 eingruppiert sein muss, gepflegt hat.
Die Verhinderungspflege ist pro Jahr auf maximale 6 Wochen und höchstens 1.612 € beschränkt. Sie kann auch stundenweise (z.B. für einen Theaterbesuch des Angehörigen) in Anspruch genommen werden. Nachfolgend soll die sehr häufige tageweise Inanspruchnahme (z.B. für einen Wochenendurlaub des Angehörigen) näher beleuchtet werden.
Gehen wir dazu von folgendem Fall aus. Ein pflegebedürftiger Vater ist in Pflegegrad 3 eingruppiert und bezieht Pflegegeld (728 € je Monat, Stand 1.1.2019). Dieses reicht er komplett weiter an seine, ihn umsorgende Tochter. Diese möchte nun für ein verlängertes Wochenende im Monat Pause haben, einfach mal rauskommen. Sie vereinbart daher mit ihrem Bruder, dass dieser sie einmal im Monat am Freitagmittag ablöst und die Pflege des Vaters übernimmt. Der Rücktausch würde am darauffolgenden Montagmittag erfolgen. Der Bruder müsste aber mit der Bahn anreisen, was ihn hin und zurück jeweils 37,25 € kosten würde.
Wie lässt sich das finanzieren?
Für Vater und Tochter gilt zunächst, dass während der Inanspruchnahme der Verhinderungspflege durch den Sohn das Pflegegeld nicht ruht. Vielmehr wird es zur Hälfte weitergezahlt (§37 Abs. 2 S. 2 SGB XI). Das betrifft aber nicht die beiden Übergabetage (also Freitag und Dienstag), sondern nur die Tage, an denen die Tochter überhaupt nicht anwesend ist (also Samstag bis Montag). Mit dieser seit 2013 geltenden Neuerung hat der Gesetzgeber darauf reagiert, dass viele Angehörige mit dem Pflegegeld als feste Einnahme rechnen.
Wie sieht die Berechnung aus?
Jeder Monat wird pauschal mit 30 Tagen gerechnet, unabhängig davon, wie lang er tatsächlich ist (§37 Abs. 2 S. 1 2. Hs SGB XI). Je Tag erhält der Vater also 728 €/30 Tage = 24,27 €. Das wird nun auf die Hälfte reduziert, macht 12,14 €. Diesen Satz erhält der Vater für die drei Tage der Abwesenheit der Tochter, an den restlichen 27 Tagen den vollen Satz. Er erhält also: 27 Tage * 24,27 € plus 3 Tage * 12,14 €, macht zusammen 691,71 € – ein zu verschmerzender Verlust für die Tochter, an die das Pflegegeld weitergereicht wird.
Was erhält der Sohn? Er übernimmt für zwei volle Tage (Samstag und Sonntag) die Pflege des Vaters. Dazu kommen zwei Tage der An- und Abreise. Dafür soll auch er etwas erhalten. Schließlich muss der Vater nur dank seiner Initiative nicht in die Kurzzeitpflege. Und hier kommen jetzt die Gelder der Verhinderungspflege ins Spiel, die der Vater zusätzlich erhält. Vater und Sohn können prinzipiell frei aushandeln, was der Sohn für sein Engagement erhält. Dabei hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Pflegekassen auch für die Verhinderungspflege durch nahe Angehörige keinen Tageshöchstsatz vorgeben dürfen (BSG vom 12.6.2012 zum Az. B 3 P 6/11 R). Damit hat der Vater die Wahl, in welcher Höhe er dem Sohn einen Dank für die Ersatzpflege zukommen lassen will. Fair – und auch nicht zu beanstanden – wäre, wenn der Sohn weder mehr noch weniger Geld erhält, als seine Schwester. Der Sohn könnte daher für die zwei Tage jeweils 24,27 € vom Vater erhalten.
Doch was ist mit dem Freitag und dem Dienstag. An den beiden Tagen ist er ja zumindest unterwegs. Und ab Mittag betreut er schon seinen Vater. Da es eine „Staffelübergabe“ wie bei einem Rennen in der Pflege nicht geben kann, ist nach einem Rundschreiben des Spitzenverbandes der Pflegekassen auch für diese Tage das tageweise anteilige, aber volle Pflegegeld zu zahlen. Der Sohn erhält damit auch für den Freitag und den Montag den vollen Tagessatz! Je verlängertem Wochenende macht das also 4 * 24,27 € = 97,08 €.
Und das ist noch nicht alles. Da der Sohn mit der Bahn kommt, macht er die Hin- und Rückfahrkarte über 37,25 € auch noch geltend. In der Summe würde die Pflegekasse dann je Wochenende für den Sohn 4 * 24,27 € plus 37,25 € bezahlen, mithin 134,33 €.
Nur diese Leistungen durch den Sohn würde auf den oben genannten Höchstbetrag von 1.612 € angerechnet. Praktizieren Tochter und Sohn in jedem Monat einen solchen Wechsel, könnten also gegenüber der Pflegekasse 134,33 € * 12 Monate = 1.611,96 € zusätzlich abgerechnet werden.
Fazit: Passt genau? Leider nein. Diese Rechnung würde so funktionieren, wenn beispielsweise der Neffe statt des Sohnes einspringen würde. Bei Verwandten bis zum zweiten Grad (das sind Kinder und Enkelkinder) sind die Leistungen der Verhinderungspflege auf die Höhe des Pflegegeldes beschränkt. Der SOhn des Vaters würde also bei 12 Einsätzen im Jahr folgendes bekommen: 4 Tage * 24,27 € * 12 Monate = 1.164,96 €, die allerdings auf einen Betrag in der Höhe des Pflegegeldes gedeckelt werden, also 728 €. Hinzu kommen die Fahrtkosten von 12 * 37,25 € = 447 €. Das macht zusammen 1.175 €.
Was ist zu tun?
Es reicht ein formloser Antrag des Vaters an seine Pflegekasse vor der Inanspruchnahme. Manche Kassen schicken aber ein eigenes Antragsformular zu. In dem Antrag sollten gleich die Kosten der künftigen Fahrkarte aufgenommen werden. Der Beleg, also die Fahrkarte, muss dann nachgereicht werden. Sinnvoll ist, in den Antrag bereits die Kontonummer des Sohnes aufzunehmen.
Verhinderungen durch Unfälle oder Krankheiten der Tochter sind jedoch nicht planbar. Hier muss und kann die Verhinderung im Nachhinein beantragt werden, was unverzüglich erfolgen sollte.
Diese Seite zu spät gelesen?
Sie haben diese Seite zu spät gelesen und in der Vergangenheit schon Verhinderungspflege übernommen? Keine Sorge, gerade weil Verhinderungspflege nie ganz planbar ist, sollte Ihr Pflegebedürftiger auch jetzt noch, also nachträglich den Antrag stellen.
Foerster, Rechtsanwalt
Stand: 18.02.2014